Berlin, September 2022

Liebe Leserinnen und Leser,

Ende Juli war ich auf Projektbesuch in Nigeria. Ein Land, das hier in Deutschland meist nur in den Nachrichten auftaucht, wenn es wieder Anschläge gegeben hat, wie leider unmittelbar zuvor auf die Schutzbrigade des Präsidenten nahe unserer neuen Ofenfabrik in Kano im Norden des Landes. Die geplante Einweihung unserer Fabrik mit dem nigerianischen Umweltminister fiel damit der Sicherheitssituation zum Opfer. Anfang des Jahres hatten wir nach Jahren der Vorarbeit in Kano endlich mit der Produktion von hocheffizienten Herden all-made-in-Nigeria begonnen.

Den Umweltminister Abdullahi habe ich dann dennoch in Abuja getroffen, denn seit der Klimakonferenz 2021 in Glasgow hat sich der internationale Rechtsrahmen für Projekte wie unsere geändert, und wir wollen Vorreiter dabei sein, den neuen Rahmen zum Nutzen Nigerias und des Klimas zu einzusetzen. Was dabei herauskam, und worum sich die Mitarbeiter im Frauenministerium geschart haben, erzähle ich Ihnen in diesem Newsletter.

Solarenergie für Tansania

In Tansania testen wir solarelektrisches Kochen. Dafür bauen wir Solaranlagen mit Batteriesystem auf Dächer von Schulen und Krankenhäusern, die Strom für das Netz und große Induktionskochplatten in den Küchen liefern.

Verstärkung für den Klimaschutz!

Wir suchen aktuell am Standort Berlin Mitarbeitende in den Bereichen Klimaschutzprojekte, Business Development, IT, Officemanagement und E-Kerosin. Vom Praktikum bis zur Führungsstelle ist alles dabei. Wir freuen uns, wenn Sie unsere Stellenanzeigen auch in Ihrem Netzwerk teilen: Offene Stellen bei atmosfair

Für die fortwährende Unterstützung unserer Projekte auch in unsicheren Zeiten möchte ich mich ausdrücklich bei Ihnen bedanken. Der Klimaschutz darf auch in Krisenzeiten nicht in Vergessenheit geraten.

Es grüßt Sie herzlich

Ihr Dietrich Brockhagen
atmosfair Geschäftsführer

 

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Fragen, Anregungen und Kritik richten Sie bitte an: info@atmosfair.de.

Unser neues Projekt: Kochen mit Solarstrom statt Feuerholz für Schüler*innen einer Schule in Tansania

Makande (Mais-Bohnen-Gericht) im 23l Reiskocher

atmosfair hat mit den lokalen Partnern Ensol Ltd. und Watu na Umeme Ltd. ein neues Klimaschutzprojekt in Tansania gestartet: Gemeinsam fördern wir solarelektrisches Kochen an Schulen und anderen Institutionen (z. B. Krankenhäusern). So sparen wir pro Jahr und pro Institution rund 100 Tonnen CO₂ durch den Verzicht auf Feuerholz zum Kochen ein.


Das Pilotprojekt

Nach der Entwicklungsphase installieren und testen wir aktuell das erste Pilot-Solarsystem an einer Schule in Sanya Juu, in der Kilimandscharo Region, im Norden Tansanias. Das aus 160 Modulen bestehende Solarsystem (60 kWp) auf dem Dach des Schulgebäudes mit langlebigem Lithium-Batteriespeicher (LiFePO4, 30 kWh) wird genug Strom produzieren, um den aktuellen Strombedarf der Schule zu decken sowie den zusätzlichen Bedarf durch das elektrische Kochen. Unser Kochset besteht aus Reiskochern (bis zu 32 l, 4,5kW), passenden Garkörben (Wonderbaskets) zum Köcheln ohne Strom und zwei großen Induktionskochplatten (bis zu 100 l, 15kW), die sieben Mal leistungsstärker sind als gewöhnliche Induktionsplatten für den Haushalt. Die Schule sowie alle weiteren Folgeprojekte sollen perspektivisch auch ins Netz einspeisen können. Überschüssiger Strom wird in das nationale Stromnetz eingespeist werden, z. B. während der Schulferien. Per sogenanntem Net-Metering erhält die Schule für den eingespeisten Strom eine Stromgutschrift, die sie zu einem anderen Zeitpunkt aufbrauchen kann. Dies reduziert die Kosten für die Schulen und erhöht den Anteil erneuerbarer Energien in Tansanias Stromnetz. Das System ist bereits jetzt eine große Hilfe, da zum einen komplett auf das Kochen mit Feuerholz verzichtet werden kann. Zum anderen kann sich die Schule bei Stromausfall in der Region weiterhin unterbrechungsfrei mit eigenem Solarstrom versorgen. Der Verzicht auf Feuerholz hat durch das Ausbleiben der Rauchentwicklung positive Gesundheitseffekte und wir wirken der Entwaldung entgegen – ein großes Problem in Tansania. Außerdem werden Kosten und Zeit eingespart und die Schüler*innen lernen über die Technologie und erneuerbare Energien.

Workshop für elektrisches Kochen

Anfang April war atmosfair Mitarbeiter und Projektmanager Zoltán Müller-Karpe zu Besuch an der Schule. Im Rahmen dessen haben wir einen Workshop für das elektrische Kochen mit der Küchenbelegschaft durchgeführt. Gemeinsam haben wir Ugali (fester Maisbrei), Pilau (Reisgericht), Makande (Mais-Bohnen-Eintopf) und Mchicha (Spinat) zubereitet. Das neue System stieß auf große Begeisterung. Makande mußten die Mitarbeitenden bisher mit den Feuerholz-Öfen den ganzen Tag köcheln lassen. Mit den Reiskochern können sie den Eintopf nun innerhalb von vier Stunden zubereiten. Die Doppelwand des Reiskochers sorgt dabei für eine bessere Wärmeisolierung. Dadurch können die Mitarbeitenden den Reiskocher den Großteil der Kochzeit im Warmhaltemodus benutzen und so deutlich Strom sparen.

Ausbau

Nach erfolgreicher Implementierung des Pilotsystems planen wir den Ausbau auf mindestens 100 Schulen. Die nächste Schule wird eine tansanische Schule mit einer Partnerschule in Lüneburg sein. atmosfair bereitet aktuell eine Vereinbarung mit dem Gastland zur Vermeidung von Doppelzählungen vor, damit das Projekt in Zukunft uneingeschränkt zur Kompensation unvermeidbarer Restemissionen genutzt werden kann. Mehr Informationen gibt es auf der Projekt-Webseite.

atmosfair trifft nigerianischen Umweltminister / Produktion effizienter Herde all-made-in-Nigeria

Ein Reisebericht von Dr. Dietrich Brockhagen, Geschäftsführer atmosfair

Dietrich Brockhagen mit dem Umweltminister Mohammend Abdullahi

Abuja, Ende Juli 2022: Das atmosfair Nigeria Team mit Orezi, Ojo und Abdulrahman holt mich am Flughafen ab. In früheren Jahren konnte ich einfach mit einem Taxi in die Stadt fahren, diesmal nur im gemieteten Wagen mit Fahrer, getönten Fenstern und bezahlten Wachmännern mit schwerer Bewaffnung. Bis zu meiner Abreise werden diese nicht von unserer Seite weichen. Kein schönes Gefühl, aber alles andere wäre naiv in diesen Zeiten.

Abuja ist eigentlich eine sichere Stadt, aber auch hier gibt es zunehmend Entführungen, die keiner politisch motivierten Gruppe zuzurechnen sind, sondern schlicht Kriminalität als Einkommensquelle ist, die zunehmend auch wohlhabende Nigerianer angreift.

Im Hotel besprechen wir die Besuche der nächsten Tage: Ministry oft the Great Green Wall, Landwirtschaftsministerium, Umweltministerium, Nationale Behörde für Infrastrukturentwicklung (NASENI), Frauenministerium. Dazwischen Besuche bei Geschäftspartnern und Arbeitsbesprechungen mit dem atmosfair Team Nigeria aus Kano.

Das Team funktioniert prima: Abdulrahman ist ständig am Telefon und koordiniert die Termine, die sich laufend ändern, Ojo und Orezi sind die Fabrikleiter aus Kano und briefen mich zu den letzten Entwicklungen in unserer Fabrik dort.

Meine Aufgabe ist, eine Vereinbarung mit der Regierung Nigerias zu schließen, die sicherstellt, dass unsere Ofenfabrik im Norden des Landes in die Klimapolitik Nigerias passt, und wir die CO₂-Minderungen zur Kompensation verwenden können. So eine Zusicherung haben wir zwar schon 2008 bekommen, als wir die ersten effizienten Öfen nach Nigeria gebracht haben. Aber der internationale Rechtsrahmen hat sich mit dem Pariser Klimaschutzabkommen verändert. Nigeria hat jetzt eigene CO₂-Reduktionsziele und kann die CO₂-Minderungen unserer Öfen gut selbst gebrauchen. Ich muss die Regierung davon überzeugen, dass unser Projekt so hochwertig ist, dass es sich für Nigeria lohnt, die CO₂-Minderungen davon an uns abzutreten.

Der Besuch beim Ministry of the Great Green Wall ist einfach. Mit dem Ministerium haben wir bereits ein aktuelles Abkommen, es ist ein Besuch, um sich gegenseitig auf dem Laufenden zu halten. Das Ministerium hat zum Ziel, den Norden Nigerias wieder zu bewalden, als Schutz gegen die Nigerwüste, die sich, vom Norden kommend, immer mehr nach Nigeria hineinfrisst. Das Ziel können sie nicht erreichen, wenn Menschen für das tägliche Kochen unvermindert Feuerholz einschlagen, dort die Hauptenergiequelle. Unser Save 80 Ofen spart 80% Feuerholz, ist aus Edelstahl und hält 10 Jahre. Bis jetzt haben wir über 30.000 davon in Nigeria verkauft. Mit dem Ministerium ist vereinbart, dass wir in Probedörfern auch versuchen, Restbiomassen von den Ernten zu Pellets zu verarbeiten, um damit möglichst schnell und dauerhaft ganz vom Waldholz loszukommen. Aber wo bekommen wir die Pelletierungsmaschinen her?

Der Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium hat einen Tipp: Es gibt in Nigeria eine Behörde unter der Führung von vielen Professoren aus verschiedenen Fachbereichen, die für die Entwicklung von Technologien und Infrastruktur tätig ist, NASENI. Wir vereinbaren einen Termin mit dem leitenden Professor. Wir immer ist Abdulrahman gut vernetzt, um in kürzester Zeit ein Treffen anzubahnen.

Das Treffen mit dem Umweltminister habe ich mit Spannung erwartet. Die Mitarbeiter im Sekretariat sind überrascht, dass ich das ganze Team aus Kano mit in das Treffen bringen will, stimmen aber am Ende zu. Mir ist wichtig, dass unsere Mitarbeiter die Kontakte selbst aufbauen und aus erster Hand wissen, was und wie besprochen wurde.

Umweltminister Mohammend Abdullahi ist bester Laune. Beim Wettbewerb, wessen Name für den jeweils anderen schwerer auszusprechen ist, müssen alle lachen. Hier gibt es zum Glück noch Visitenkarten, das hilft. Dann wird es ernst, und ich darf fast eine Dreiviertelstunde unser Projekt vorstellen. Der Minister hat zwei Mitarbeiter mitgebracht, sie wollen wissen, ob wir uns mit den nationalen Verbänden abgestimmt haben, und wie viele Frauen in der Produktion in der Fabrik arbeiten. Dann geht es schnell. Herr Abdullahi sagt, dass er unser Projekt voll unterstützen wird, weil wir die einzigen sind, die überhaupt in Nigeria lokal produzieren und unser Modell dort neue Arbeits- und Ausbildungsplätze schafft. Er sagt, dass in Nigeria viele NGOs mit Studien oder Geld ankommen. Aber die Bilder von unserer Fabrik und die Tatsache, dass unser Team die ersten Öfen schon produziert hat, zeigen ihm, dass wir eine Ausnahme sind. „Ihr macht hier unseren Job“ sagt er uns. „Eigentlich wäre das unsere Aufgabe, aber wir haben als Regierung keine Arme und Hände, und für unsere Unternehmen lohnt sich das alles nicht richtig, ist zu riskant.“ Und in der Tat stehen wir selbst noch vor der Herausforderung, die Öfen in den ländlichen Raum zu bringen, eine beträchtliche logistische Aufgabe.

Wasser im Wein ist dann aber sein Hinweis, dass Nigeria für die neuen Regeln unter dem Paris-Abkommen noch keine Durchführungsregeln hat. Unser Projekt wird ein Präzedenzfall sein, und es fehlt auch an Mitarbeitenden, die diese Regeln erarbeiten. Ich gebe ihm den Vertragsentwurf, den wir ausgearbeitet hatten, dann ein Foto, ein Händeschütteln, und wir sind wieder draußen, uff.

Professor Haruna von NASENI hört uns auch an, und siehe da: NASENI hat schon eigene Pelletierungsmaschinen, die atmosfair kaufen könnte. Das wäre ein Riesenvorteil gegenüber anderen Maschinen, die meistens in Asien angeboten werden.

Das größte Treffen findet überraschend für uns im Frauenministerium statt. Die Ministerin ist im Ausland und kann kurzfristig nicht wie geplant kommen, dafür ist der Raum voll mit fast 20 Mitarbeiter*Innen von allen Ebenen. Der Staatssekretär lässt alle vorstellen, dann sind wir dran. Zum Glück hatte ich mir vorher die Ziele der Frauenpolitik in Nigeria angesehen, und auf die ersten drei zahlen unsere Öfen voll ein: Armutsbekämpfung (durch gespartes teures Feuerholz), Gesundheit (unsere medizinische Studie aus Ruanda zeigt, dass sich die vitalen Lungenfunktionen der Frauen sofort signifikant verbessern, die vom 3-Steine-Feuer auf unseren Save 80 umsteigen) und Ausbildung (in unserer Fabrik). Aber dann kommt Kritik auf. Eine Abteilungsleiterin rät mir, beim nächsten Mal nicht nur von unserem Ofen zu reden und Bilder zu zeigen, sondern einen mitzubringen. Mist, wir hatten aus Kano nur zwei mitgebracht, und die sind jetzt im Umwelt- und Landwirtschaftsministerium. Aber Abdulrahman ist auf zack. Noch während wir diskutieren fängt er an zu telefonieren, und nur 10 Minuten später geht die Tür auf und eine Ministeriumsmitarbeiterin bringt unseren Save 80 rein. Abdulrahman zwinkert mir zu: Er kannte einen Kollegen in der Nähe, der selbst noch einen hatte.

Jetzt stehen alle auf, viele wollen mal anfassen. Auch die Wonderbox wird begutachtet, die das Essen lange heiß halten kann. Viele fragen, ob der Ofen das Holz sauber als Gas verbrennt, und ob man sich im Betrieb von außen die Hände verbrennen kann. Der Staatssekretär bricht dann ab, er hatte nur 10 Minuten eingeplant, jetzt ist schon fast eine Stunde vorbei.

Formell brauchen wir die Zustimmung des Frauenministeriums vielleicht gar nicht. Das Umweltministerium ist federführend, aber es wird sicherlich die Zustimmung der anderen betroffenen Ressorts einholen, die Verwaltung ist gut organisiert. Die Freigabe durch das Justizministerium für alle internationalen Verträge ist dagegen sogar gesetzlich vorgeschrieben.

Am Ende der Reise stelle ich fest, wie schnell ich mich wieder an Nigeria gewöhnt habe. Wie gerne wäre ich mit den Kollegen in den Norden aufs Land gefahren, um mit Händlern, Großkunden und unserem Produktionsteam zu sprechen, wie gerne auf die lokalen Märkte gegangen, um selbst mit Endkunden in Kontakt zu kommen. Das geht aus Sicherheitsgründen nicht, ich muss das einfach akzeptieren. 2009, als ich zum ersten Mal kam, ging das noch, und hat bei mir tiefe Eindrücke hinterlassen.

Am Ende dann ein herzlicher Abschied vom Team. Ohne sie würde hier gar nichts laufen, und wir nehmen uns vor, beim nächsten Mal wenigstens bis nach Kano zu fahren. Dann hoffentlich mit einem Save 80 „approved by the Government of Nigeria“.

 

Hintergrund Paris und Doppelzählungen

Unter dem Pariser Klimaschutzabkommen verpflichten sich alle Länder (auch Entwicklungs- und Schwellenländer) zu individuellen Emissionsreduktionen, sogenannten NDCs (National Determined Contributions). Um künftig Doppelzählungen von Projekten für die Kompensation von Emissionen zu vermeiden, müssen Projektentwickler sogenannte Corresponding Adjustments mit den Gastländern vereinbaren. (Weitere Informationen zum Thema finden Sie hier oder in unserem Jahresbericht ab Seite 27.)

Mehr über unser Projekt in Nigeria können Sie hier nachlesen.