Berlin, Dezember 2023

Liebe Leserinnen und Leser,

letzte Woche war es so weit: Nach chaotischer Vorbereitung und Terminabstimmung mit zwei Dutzend Ländern bin ich mit einem Kollegen zur Klimakonferenz nach Dubai geflogen, um vor allem mit Regierungsvertretern von Ländern aus Sub-Sahara Afrika zu sprechen, die dort mit Entwaldung und Wüstenbildung kämpfen, und die deswegen Interesse an unseren effizienten, holzsparenden Öfen für Haushalte haben. Zusammen mit der Regierung von Nigeria, wo wir schon eine Fabrik für diese Öfen aufgebaut haben und erfolgreich betreiben, haben wir unsere Erfahrungen auf mehreren Side Events und in vielen Delegationsgesprächen geteilt.

Unser Ziel ist es, Produktionsstandorte in weiteren Ländern aufzubauen, so dass die besten Öfen mit 90% – 100% Holzersparnis lokal gefertigt werden, Wertschöpfung und Arbeitsplätze im Land entstehen und die Entwaldung in Sub-Sahara Afrika gestoppt wird. Das Interesse war groß, gerade weil wir unsere laufenden Fabriken in Nigeria und Ruanda zeigen konnten. Auch unsere Solarprojekte zur ländlichen Elektrifizierung wie in Madagaskar kamen gut an.

Viele Regierungsvertreter dieser Länder haben mir offen Ihre Enttäuschung über die Unterstützung von Industrieländern auf Staatenebene ausgesprochen, von denen zwar viele Ankündigungen kämen, aber keine Taten. Insbesondere die bereits angekündigten und laufenden Öl- und Gasförderprojekte in den USA, UK und anderen reichen Ländern sorgten für Misstrauen, wo doch der offizielle und in den Medien sehr präsente Konferenzbeschluss von COP 28 die Abkehr von den fossilen Energien ankündigte.  „They are all Hypocrites“, alles Heuchler, so brachte es ein Delegationsleiter eines Landes der Elfenbeinküste mir gegenüber auf den Punkt. Ich konnte es ihm kaum verübeln.

In eigener Sache: Kompensation in der Kritik

Dieser Newsletter dreht sich diesmal weniger um unsere Projekte, sondern um die mediale Kritik, die zuletzt zurecht an schlechter CO₂-Kompensation aufkam. Bisher haben wir uns bei atmosfair mit Kommentaren in der Debatte zurückgehalten, weil wir als Kompensationsanbieter naturgemäß nicht als neutral wahrgenommen werden. Angesichts der vielen neuen Berichte über offensichtliche Missstände ändern wir das nun und setzen darauf, dass unsere Beobachtungen aus der Praxis objektiv genug sind, um für Sie hilfreich zu sein.

Die Vorwürfe: Von Greenwashing und wertlosen Waldprojekten

Schon Anfang des Jahres gab es mehrere große Zeitungsberichte über Missstände bei der CO₂-Kompensation: Angefangen mit Berichten in Die Zeit und Guardian über große Waldschutz- und Aufforstungsprojekte weltweit, deren CO₂-Zertifikate zu 90% wertlos sind, über Kompensationsanbieter und Firmenkunden, die mit CO₂-Zertifikaten billig Greenwashing betreiben (Die „Blumengeschwister“), bis hin zu einem Frontal Fernsehbericht im Dezember 2023, „Greenwashing bei Shell, Mercedes und Co.

Wir teilen diese Kritik und sind froh, dass endlich auch Medien und Verbraucherschützer auf diese Missstände aufmerksam machen. Bei atmosfair haben wir schon vor 15 Jahren beschlossen, keine Waldprojekte zu machen, kein Autofahren, Heizöl, Schnittblumen oder ähnlich fragwürdige Produkte zu kompensieren, und nie „Klimaneutralität“ zu verkaufen. Unsere Projekte werden von den Regierungen des Projektlandes inkl. Anhörungen vor Ort zugelassen, wir lassen sie von haftenden UN-akkreditierten Prüfern wie dem TÜV kontrollieren, und deren Prüfberichte sind direkt auf der Website des Klimasekretariats der Vereinten Nationen einsehbar (UNFCCC), ganz ohne uns. Deswegen kommt atmosfair auch in der aktuellen Kritik nicht vor, im Gegenteil: in Tests von verschiedenen Universitäten und der Stiftung Warentest werden wir seit unserer Gründung immer als vorbildlich bewertet, Medien nennen uns gerne als positives Gegenbeispiel. Nichts destotrotz spüren wir in diesem Jahr zum ersten Mal einen Rückgang bei den Einnahmen und haben das Gefühl, mit anderen Anbietern und fragwürdigen Praktiken mitgefangen und mitgehangen zu werden.

Das ist deswegen besonders enttäuschend, weil gerade jetzt die neuen Regelungen des Paris-Übereinkommens es zulassen, die CO₂-Kompensation von einem reinen Nullsummenspiel zu einem vollwertigen Klimaschutzinstrument aufzuwerten, die wir für das 1,5°C Ziel von Paris brauchen. Von der alten CO₂-Kompensation als zweitbestem Klimaschutzinstrument hin zu CO₂-Minderungen, die zusätzlich sind zu dem, was die Staatengemeinschaft selbst erbringen muss. So könnte sich eigentlich die Kompensation zu einem vollwertigen Klimaschutzinstrument für die Erreichung der Klimaschutzziele von Paris entwickeln.

Quo vadis, CO₂-Kompensation?

Von unseren eigenen Kunden hören wir aber zunehmend, dass diese sich ganz von der CO₂-Kompensation abwenden wollen, weil das Vertrauen in das Instrument der Kompensation durch das zunehmend aufgedeckte Greenwashing zu sehr erschüttert ist. Die Lösung: Unternehmen spenden einfach einen Teil ihrer Einnahmen für Klimaschutzprojekte, die unstrittig dem Klimaschutz dienen, z.B. durch technische Innovationsprojekte.

Aber das ist so zu kurz gedacht. Umweltschützer kämpfen weltweit und seit vielen Jahrzehnten dafür, dass Verursacher endlich für die von ihnen verursachten Schäden aufkommen, nicht die Allgemeinheit. In der EU ist dieses Verursacherprinzip sogar als Grundsatz im EU-Vertrag enthalten.

Es bedeutet, dass die Verursacher von Umweltschäden die zugehörigen Kosten tragen, einschließlich für Maßnahmen zur Vermeidung, Verminderung und Beseitigung sowie die damit verbundenen gesellschaftlichen Kosten. So erhalten die Verursacher einen Anreiz, Umweltschäden zu vermeiden und werden für die von ihnen verursachte Verschmutzung zur Verantwortung gezogen.

Die Anlastung der Umweltkosten ist mit der CO₂-Kompensation ideal umgesetzt, auch wenn sie nur freiwillig ist: Verursacher zahlen für CO₂-Emissionen, nur dass das Geld ungleich einer Steuer denen zugutekommt, die unter den Klimaschäden am meisten leiden: Menschen in Entwicklungsländern, die damit nun Zugang zu grüner Energie erhalten. Dies ist auch Teil einer Nord- Süd Klimagerechtigkeit. Und es gilt dabei nach dem Verursacherprinzip: Wer mehr CO₂ verursacht, muss auch mehr zahlen.

Dies aufzugeben für eine Art CO₂-Spende mit selbstbestimmter Höhe für Unternehmen bringt eine Beliebigkeit zurück, die wir eigentlich schon überwunden hatten. Unternehmen müssen ihre CO₂-Emissionen inzwischen recht genau erfassen, überprüfen lassen und transparent berichten. Dafür sorgt die neuere EU-Gesetzgebung. Mit den vorhandenen guten Standards und Prüfmethoden bei den Kompensationsprojekten ließen sich schlechte Projekte eindämmen, wenn sie denn rechtlich verbindlich vorgegeben wären oder auf andere Art und Weise zum Quasi-Standard erhoben würden. Auch der wichtige Grundsatz „Erst vermeiden und reduzieren, dann den Rest kompensieren“ ließe sich als Standard etablieren. Hier gäbe es viele Möglichkeiten auch für die deutsche Regierung, die im oben erwähnten Frontal Bericht einerseits als Befürworter der CO₂-Kompensation gezeigt wurde, aber anderseits als wenig bereit, bei der freiwilligen Kompensation Einflussmöglichkeiten zu nutzen.

250 Milliarden jährlich: Klimafinanzierung durch CO₂-Kompensation kann erheblich sein

Es fehlen jährlich dreistellige Milliardenbeträge weltweit bei der Klimafinanzierung, trotz aller UN-Fonds, Weltbank und anderer Finanzierungsprogrammen. Die freiwillige Kompensation bietet die Möglichkeit, die Finanzierungslücken über den Privatsektor zu schließen und die Energiewende in Entwicklungsländern zu finanzieren, wo diese noch kein Marktmodell ist, wie bei der ländlichen Elektrifizierung mit erneuerbaren Energien. Hier fehlt viel Geld, um Energiesysteme für Haushalte und kleine Unternehmen grün aufzubauen, bevor die großen Kohlekraftwerke kommen.

Viele Menschen und Unternehmen sind zunehmend bereit, selbst Verantwortung zu übernehmen und die Transformation der Energiesysteme in ärmeren Ländern zu unterstützen. Und wenn sie für CO2-Kompensation bezahlen, dann fehlt das Geld nicht bei den Steuereinnahmen und konkurriert dann nicht mit anderen Staatsaufgaben wie Bildung oder dem Sozialsystem.

Studien schätzen den möglichen Beitrag der freiwilligen CO₂-Kompensatioon zur Klimafinanzierung auf bis zu 250 Milliarden Dollar jährlich im Jahr 2030 ein.

Dies wäre ein erheblicher Beitrag zur weltweiten Klimafinanzierung. Schwer vorstellbar, dass diese Menge an Geld zustande kommt, wenn die Verbindlichkeit und Messbarkeit fehlen, die die CO₂-Kompensation bieten kann.

In diesem Newsletter greifen wir die Missstände auf, die zuletzt zurecht bei der CO₂-Kompensation aufgedeckt wurden, und wie sich die EU, atmosfair und andere hier positionieren.

Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen. Schicken Sie gerne Ihre Fragen und Anregungen an info@atmosfair.de, Ihre Meinung ist uns wichtig!

Herzliche Grüße,

Ihr Dietrich Brockhagen
Geschäftsführer atmosfair

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Das Ende von „klimaneutral“: EU schreitet ein, fragwürdige Produktkompensation

Zu lange haben private Unternehmen auf der Anbieter- und Nachfrageseite Profit aus billiger und nicht integrer CO₂-Kompensation gezogen, zu lange haben Regulatoren über bekannte Missstände hinweggesehen. Nun ist wenigstens die EU eingeschritten und hat im September 2023 in der „Empowering Consumers for the Green Transition Directive“ Werbeaussagen für „klimaneutrale“ aber in Wahrheit nur CO₂-kompensierte Produkte verboten.

atmosfair sieht diesen Schritt als lange überfällig. Wir haben selbst schon vor über 10 Jahren einen Leitfaden veröffentlicht, in dem wir nachweisen, dass Kompensation für viele Produkte aus Klimaschutzsicht kontraproduktiv ist: Kompensation sollte nur dann zum Zuge kommen, wenn es keine Alternativen für direkte CO₂-Reduktion gibt. Beim Autofahren wären diese besseren Alternativen z.B. das Elektroauto mit Grünstrom oder der ÖPNV, beim Heizöl die Wärmepumpe. Aus diesem Grunde lehnen wir in der Regel Anfragen von Unternehmen ab, die ihre Produkte kompensieren wollen, auch wenn wir damit Einnahmen verlieren: Dem Klimaschutz und der Energiewende hilft jede Bahncard 100 mehr, als die wenigen Cent für Baumprojekte, die Shell Autofahrern für die Kompensation von Benzin anbietet.  Selbst beim Flugverkehr gibt es inzwischen die Möglichkeit, Kerosin synthetisch mit erneuerbaren Energien herzustellen, was atmosfair mit Pionierarbeit begonnen hat.

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Waldprojekte zurecht in der Kritik

CO₂-Emissionen in Wald dauerhaft einzusparen hat grundsätzliche Schwierigkeiten, die es bei anderen Projekten, z.B. mit dem Aufbau von erneuerbaren Energien nicht gibt. Dazu gehören insbesondere:

  • Dauerhaftigkeit: Damit ein neuer Baum dem Klima hilft, muss er mindestens 50 Jahre stehen, besser mehr. Für so lange Zeitspannen lässt sich aber keine Sicherheit bieten, denn gewählte Regierungen müssen souverän über die Nutzung des Waldes entscheiden können. Stellen Sie sich vor, Brasilien hätte 1970 versprochen, im Amazonasgebiet bestimmte Waldflächen für die CO₂-Kompensation vielfliegender Passagiere aus Europa zu erhalten: würde sich daran die Regierung Lula von 2023 noch gebunden sehen?
  • Vorzeitige Ausschüttung der CO₂-Zertifikate: Obwohl die Dauerhaftigkeit das Hauptproblem von Waldprojekten ist, schütten die CO₂-Standards die CO₂-Zertifikate für den gesamten zukünftig erst erwarteten Wald schon direkt nach der Anpflanzung an den Projektentwickler aus. Wenn sich dann im Nachhinein herausstellt, wie jetzt in den kritischen Berichten, dass der Wald gar nicht gewachsen ist oder schon wieder abgeholzt wurde, dann bekommen Sie Ihr Geld für CO₂-Zertifikate dennoch nicht wieder. Die UNFCCC hatte dafür die richtige Lösung gefunden: CO₂-Zertifikate gibt es bei der UN immer erst nach Überprüfung des Waldwuchses und immer nur zeitweise, d.h. die CO₂-Zertifikate laufen ab, wenn sie nicht erneuert werden. Diese Lösung des Problems war allerdings für die Projektentwickler so unattraktiv, dass so gut wie kein Waldprojekt nach diesem UN-Standard betrieben wird.
  • Nur eins statt zwei: Wälder atmen bei Wachstum und Schrumpfung CO₂ ein bzw. aus und reagieren dabei auch auf den CO₂-Gehalt der Atmosphäre. Aufgeforstete Wälder fangen genau dann an wieder CO₂ abzugeben, wenn der CO₂-Gehalt in der Erdatmosphäre hoffentlich bald sinkt. So wird die Klimawirkung auch der theoretisch besten Waldprojekte doppelt überschätzt.
  • Nutzungskonflikte: Wald braucht Flächen, und um diese wird weltweit gerungen, für Ansiedlung neuer Industrie, für mehr oder weniger nachhaltige Forstwirtschaft, als Wohn- und Wirtschaftsraum für die Bevölkerung, als Biotope etc. Wenn ein Unternehmen aus Deutschland in einem Entwicklungsland Waldflächen kauft und einzäunt, um diese vor Rodungen zu schützen, kann das ein schwerer Eingriff in die Waldsoziökonomie des Landes bedeuten, auch wenn dieser sich vielleicht erst indirekt und auf einer anderen Fläche zeigt. Wenn dann Einheimische Flächen nicht mehr so nutzen können wie bisher, kommt es zu Vertreibungen und manchmal Gewalt, wie es in zahlreichen Fällen und Berichten nachgewiesen wurde.

Aus diesen Gründen haben wir bei atmosfair schon bei der Gründung beschlossen, keine Waldprojekte zu machen. 2020 haben wir in unserem Jahresbericht das Thema zum Schwerpunkt gemacht, in dem wir mit namhaften Experten der Bundesregierung das Thema intensiv diskutiert und aus vielen Blickwinkeln beleuchtet haben. Lesen Sie gerne den atmosfair-Waldschwerpunkt hier nach.

Unsere Projekte mit effizienten Öfen oder Kleinbiogasanlagen für Bauernhöfe setzen dagegen anders an. In ihnen geht es darum, den Feuerholzverbrauch durch Technologie zu senken, und dies kann genauso sicher gemessen werden, wie die Menge an Kohle, die nicht mehr in einem Stromkraftwerk verbrannt wurde, weil ein neuer Solarpark Strom ins Netz eingespeist hat.

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