Kurdistan / Energie für das Flüchtlingsdorf Mam Rashan

Zum ersten Mal: atmosfair rüstet eine Siedlung mit Solarenergie aus

Projektbericht Nele Erdmann, August 2018: atmosfair nimmt in Mam Rashan, einem Flüchtlingslager nahe Dohuk, Nordirak, erfolgreich die dort aufgebaute Solaranlage in Betrieb. Das Ziel: eine Vollversorgung des Camps mit Solarstrom.

Nach einem Jahr harter Arbeit ist es endlich so weit: Gerade,  August 2018, ging die Solaranlage im Flüchtlingscamp Mam Rashan erfolgreich in Betrieb. Mit dem hohen Einsatz aller Beteiligten in Deutschland und vor Ort haben wir erstmals eine Solaranlage dieser Größe und Qualität im Irak installiert.

Die Solaranlage läuft jetzt, in den ersten Wochen nach Inbetriebnahme, bereits erfolgreich. Derzeit finden noch einige Feineinstellungen statt, um allen Nutzern möglichst ausgewogen und über einen langen Zeitraum des Tages Solarstrom liefern zu können. Hierzu dient eine ausreichend dimensionierte Batterie, die von einem Energiemanagementsystem überwacht wird. Damit die Anlage dauerhaft sicher und kostengünstig betrieben werden kann, wird momentan ein lokales Team intensiv geschult. Damit schafft die Solaranalage sinnvolle Arbeitsplätze in Mam Rashan.

Wie es begann / Reisebericht 2017

Heute sind wir stolz auf den Erfolg , aber der Anfang war nicht leicht. Im Mai 2017 besuchten Nele Erdmann und Dietrich Brockhagen von atmosfair zum ersten Mal das Geflüchtetenlager und erlebten beeindruckende Begegnungen. Nele erinnert sich:

Nach drei Stunden Fahrt durch Kurdistan erscheint in der grün-braunen, hügeligen Landschaft am Horizont ein kleiner Fleck aus hingestreuten weißen Punkten. Fernab der nächsten Ortschaft stehen hier fast 2000 weiße Wohncontainer auf einem flachen Hang und brüten in der Sonne.

Wir schütteln Shero Smo die Hand, welcher das Lager leitet. Die Organisation der Reise haben unsere deutsch – irakischen Partner übernommen. Alle Termine klappen, wir sind beeindruckt. Es ist heiß heute, keine Wolken, zum Glück etwas Wind, aber die Temperaturen steigen dennoch auf weit über 30 Grad. Es ist ruhig, wir sehen kaum Menschen, die meisten haben sich in ihre Container verzogen. Ein paar Kinder spielen auf dem Fußballplatz und laufen auf dem Gelände der Schule herum.

Der IS ist zwar in den letzten beiden Jahren stark zurückgedrängt worden, aber in Mossul wird noch gekämpft, und täglich kommen Busladungen voll mit Geflüchteten aus den besetzten Gebieten.

Shero nimmt uns mit auf einen Rundgang; auch in die Container dürfen wir schauen, Mutter und Vater der Geflüchtetenfamilie stimmen zu. Die Container sind wie ein Wohnwagen aufgebaut, ein Raum, rechts und links darin eine Pritsche, ein Kippfenster, eine Herdplatte, eine Waschecke. Es ist eng und drückend heiß hier drin, die Lüftung verschluckt viel Strom und den gibt es nicht. Die meisten haben sich als Vorzelt noch eine Decke aufgespannt, hier lagern Koffer und Lebensmittel.

Die Campbewohner Mam Rashans haben noch Glück gehabt. Die Container wurden in einem Hilfsprojekt der Caritas finanziert, auch Leser der Stuttgarter Zeitung haben für das „Ländle“ gespendet. Damit sind in einem neuen Zentrum im Lager u.a. Therapieräume und Werkstätten entstanden, in denen Bewohnerinnen z.B. nähen lernen können. Heute wird das Zentrum eingeweiht, ein großer Tag. Der Saal im Zentrum ist voll mit den Campbewohnern, auch politische Prominenz kommt aus Dohuk.

Folgen der IS-Besatzung

In Mam Rashan leben derzeit rund 8.500 Menschen in etwa 1.800 Wohncontainern. Seit 2014 kämpft der Irak gegen die Terrormiliz des „Islamischen Staats“. Nachdem der IS im Irak schon so gut wie besiegt war, erobert er mittlerweile kleine Gebiete zurück. Flucht und Vertreibung sind an der Tagesordnung, immer wieder müssen sich Familien vor den Kämpfen und der Gewalt in Sicherheit bringen. Nicht wenige der Geflüchteten richten sich für längere Zeit in Mam Rashan ein, weil sie nicht in ihre Heimatregionen zurückkehren können. Das Camp Mam Rashan wächst stetig und wird von einem Provisorium zur neuen Heimat für Viele. Das ist die Situation der meisten jungen Familien hier: Sie werden die nächsten Jahre hier leben; wenn sie eine Zukunft haben wollen, dann muss hier ein Ort entstehen, wo Handwerk betrieben werden kann, Kinder zur Schule gehen und alle ein möglichst normales soziales Leben führen können.

Dafür haben die Campverantwortlichen inzwischen viel unternommen. Sie errichteten zwei Schulen, einen Kindergarten, ein Krankenhaus und dachten auch an einen Fußball- und einen Spielplatz. Gewächshäuser und ein Trauma-Zentrum gibt es ebenfalls.

Für atmosfair begann die Reise mit einem Anruf aus Stuttgart im Herbst 2016: Die Stiftung Entwicklungszusammenarbeit Baden-Württemberg (SEZ) wollte sich im Nordirak engagieren. Dabei sollte es einen Nutzen für die Geflüchteten gehen und um Klimaschutz. Unsere Idee war die CO2-freie und autarke Stromversorgung für das Geflüchtetenlager Mam Rashan, das auch Werkstätten mit Strom versorgen kann und bei deren Aufbau lokale Handwerker trainiert und sich erstes Know How aneignen können.

Bei dem Rundgang durch das Lager und einem langen Gespräch mit Shero und seinen Mitarbeitern bestätigt sich unser Reisegrund: Es fehlt vor allem an einer verlässlichen Energieversorgung. Da es nicht genug Strom gibt, können Geräte wie Kühlschränke und Kochplatten meist nur nachts betrieben werden. Auch das B.R.H.A (Board of Relief and Humanities Affairs) und das Energieministerium wird uns in den nächsten Tagen den dringenden Bedarf der Energieversorgung tagsüber bestätigen.

Ich stelle viele Fragen, um den Energiebedarf der Container abschätzen zu können. Wir laufen viel herum, um möglichst viel über Stromverbraucher, Stromleitungen, Verteilerkästen etc. herauszufinden. Dabei nehmen wir auch Hoshyar mit, der nach unserer Abreise für uns vor Ort die Arbeiten leiten soll. Hoshyar hat eine eigene kleine Firma und versucht nun mit Solarenergie im Irak Fuß zu fassen.

Am Ende der Reise haben wir alle Informationen für unser Konzept zusammen: Die Energieversorgung am Tage soll künftig eine Photovoltaikanlage mit Energiespeicher abdecken. Die Anlage soll am Dorfrand aufgeständert werden, um so effizient auch Strom für Werkstätten und andere Nutzer bereitzustellen. Um die Installation und Wartung der Anlage sollen sich die Bewohner des Camps kümmern – entsprechende Fachkräfte wird atmosfair vor Ort ausbilden.

Förderung durch die SEZ / BaWü

Insgesamt 400.000 Euro stellte das Land Baden-Württemberg durch die SEZ zur Verfügung. Mit diesem Budget konnten wir die Teile für die Photovoltaikanlage bestellen und in den Irak verschiffen. Sachspenden von zahlreichen Unternehmen machten es möglich, mit dem Projektbudget im ersten Schritt eine 370-Kilowatt-Solaranlage mit Batteriespeichersystem zu kaufen, die den Energiebedarf des Camps tagsüber bis zu einem Fünftel decken kann. Ziel ist die Vollversorgung des Camps mit Solarstrom. Wie gut das Projekt auch aus der energiefachlichen Sicht ankommt, zeigt seine Nominierung für die „Top 5 Hybrid Energy News“ Anfang 2018.

Kurzvorstellung einiger Personen vor Ort

Hoshyar Rassam ist der lokale Projektleiter von atmosfair. Er unterstützt atmosfair in der Kommunikation mit den lokalen Behörden und wird die Installationsarbeiten kontrollieren. Vor 17 Jahren ist Hoshyar mit seiner Familie nach Schweden ausgewandert. Ihn hat es schnell in seine Heimat zurückgezogen, die er nun mit seinem Fachwissen und Unternehmergeist unterstützt. Er lebt in zwei Welten und will jeweils das Beste aus der Einen in die andere holen.

Shero Smo ist der Leiter von Mam Rashan. Er engagiert sich seit über 3 Jahren unermüdlich für eine menschenwürdige Unterbringung der Geflüchteten und für Langzeitperspektiven in seinem Camp. Er hat als erster Verantwortlicher den dringenden Bedarf einer Energieversorgung am Tage für Mam Rashan erkannt und unterstützt das Projekt mit ganzem Herzen.

von links: Nele Erdmann (atmosfair), Sarah Mush (bw-i), Campleiter Shero Smo und Dietrich Brockhagen (atmosfair)

Hazim Khdeda Mishko arbeitet als Techniker im Camp Mam Rashan. Im Rahmen des Projektes wird er in der Installation und Wartung der Solaranlage ausgebildet werden. Hazim musste mit seiner Familie vor der IS-Terrormiliz aus seiner Heimat fliehen und fand Zuflucht in Mam Rashan, wo er mit seiner Familie einen der 1.800 Container bewohnt.

Hazim Khdeda Mishko und seine Familie

Nawar Eena ist der Bauleiter in dem Projekt. Er hat langjährige Erfahrungen als Elektriker und Elektroniker. Für seine Rolle als Bauleiter hat er ein Training in der Türkei bei einer EPC Firma absolviert. Er musste selbst 2014 seine Heimat Karrakosch verlassen und als Geflüchteter in Erbil leben. Die Lebens Situation im Camp Mam Rashan zu verbessern liegt im daher sehr am Herzen. Und er sieht auch das Potenzial von Photovoltaik als Energieerzeugungsquelle im Nordirak und im Rahmen des Wiederaufbaus. Daher freut er sich sehr die Chance zu haben sich hierin weiterzubilden.

Vorstellung der Projektförderer

  • BayWa r.e. renewable energy GmbH: Weltweit vertreten in den Bereichen Wind, Solar und Bioenergie,. Der BayWa r.e. verdankt das Projekt, dass 70kWp mehr Modulleistung installiert werden konnte.
  • Brandhoff Obermüller Partner. Eine international tätige Wirtschaftskanzlei. Sie haben das Projekt in der Prüfung der Projektverträge juristisch unterstützt.
  • Elin Renewable Energy Systems Inc: Die Tochter der Elin Group bietet EPC und O&M Dienstleistungen für Erneuerbare Energiesysteme in der Türkei an. Elin hat den Bauleiter des Projektes in der Errichtung von Photovoltaikanlagen trainiert.
  • Emons Logistik GmbH: Die in Köln beheimatete Spedition ist ein etabliertes und weltweit agierendes Transport- und Logistikunternehmen. Sie haben auf Spendenbasis Lagerplatz zur Verfügung gestellt und die LKWs beladen.
  • Enerparc Power Plants GmbH: Eine Tochter der Enerparc AG mit Hauptsitz in Hamburg.. Enerparc hat das Projekt mit Solarkabeln und AC Combinern unterstützt, sowie Zimmermann und Elin als Spender geworben.
  • greentech GmbH: Das Unternehmen ist auf die Betriebsführung von Photovoltaikanlagen spezialisiert.. greentech trainiert das Team vor Ort und wird ein Jahr lang als Ansprechpartner die Betriebsführung betreuen.
  • Initiative Flüchtlingsdorf Ruhrgebiet: Die Initiative startete 2014 mit Spenden aus dem Ruhrgebiet, hat mittlerweile aber Spender aus ganz NRW und anderen Bundesländern … vor allem auch aus Baden-Württemberg durch die Unterstützung der Schwäbischen Zeitung. Ziel des Projektes ist die Errichtung eines Flüchtlingsdorfes bestehend aus isolierten Containerunterkünften mit Hilfe von Spenden aus dem gesamten Ruhrgebiet. Ohne den Kontakt in das Camp und die Verantwortlichen vor Ort wäre das Projekt nicht möglich gewesen.
  • Meteocontrol GmbH: Das Unternehmen ist führend in der Entwicklung und Umsetzung von Monitoringlösungen für Solaranlagen und Anlagenportfolios. Meteocontrol hat das Equipment für die Fernüberwachung der Anlage gespendet.
  • SEZ: Über die Stiftung Entwicklungszusammenarbeit Baden-Württemberg fördert das Land Baden-Württemberg das Projekt. Die SEZ blickt auf 27 Jahre Stiftungsgeschichte zurück. Ihr Auftrag ist es, die baden-württembergische Bevölkerung für ein global verantwortliches Handeln zu sensibilisieren.. Insgesamt 400.000 Euro stellte das Land Baden-Württemberg durch die SEZ zur Verfügung.
  • Solarpraxis Neue Energiewelt AG: Sie veranstaltet jährlich das Forum Neue Energiewelt, Deutschlands Leitkonferenz für die innovative Energiewirtschaft. Dank der Einladung von Solarpraxis konnte auf dem 18. Forum Neue Energiewelt ein Großteil der Projektunterstützer geworben werden.
  • ZIMMERMANN PV-Stahlbau GmbH & Co. KG: Das Unternehmen unterstützt durch seine Expertise im Bereich der Unterkonstruktion für PV-Anlagen.. Zimmermann hat die Unterkonstruktion für das Projekt gespendet und die Statik geliefert.

Für die Realisierung des Projektes wurden darüber hinaus folgende Firmen beauftragt:

  • autarsys GmbH: Im Rahmen Ihres Auftrages als Lieferant des Batteriespeichers und Energiemanagementsystems engagiert sich autarsys intensiv für ein funktionstüchtiges und den Bedürfnissen vor Ort angepasstes Energiesystem.
  • Baden-Württemberg International: Unterstützte bei der Suche nach den für den Anlagenbau erforderlichen Komponenten und begleitete die Ausschreibungsphase.
  • Elk-Erneuerbare GmbH: Der Gründer und Geschäftsführer Jörgen Klammer hat im Auftrag für atmosfair das Engineering der PV-Anlage und der Niederspannungsleitung durchgeführt. Er unterstützt als durchgehender Ansprechpartner und Berater über seinen Auftrag hinaus das Projektteam.
  • pvxchange: Unser Stringwechselrichterlieferant. Eine der weltweit größten Vermittlungsplattformen für Solarmodule und Wechselrichter.
  • Lunaco Europe GmbH: Unser Modullieferant. Sie haben über den Auftrag hinaus Modulkapazitäten und Stringwechselrichter gespendet.
  • M.G. International Transports GmbH hat als Logistikpartner den erfolgreichen Versand der Hauptkomponenten organisiert.
  • Martany Company for General Trading: Das irakische Unternehmen führte die Erdarbeiten aus und beauftragte Bauleiter und Installationsteam und besorgte das gesamte lokale Material und Equipment.

Freie Stellen bei atmosfair

Wir suchen Verstärkung für unser Projektteam und haben folgende Stellen ausgeschrieben:

Projektmanager*In Klimaschutzprojekte (Vollzeit)

Projektentwickler*in erneuerbare Energien mit Schwerpunkt Photovoltaik und Entwicklungsländer  (Vollzeit)

Bewerbungsfrist für beide Stellen ist der 07. September 2018.

 

Außerdem suchen wir zwei weitere Freiwillige, die uns im Projektteam und im Business Development unterstützen:

Ökologischer Bundesfreiwilligendienst (Klimaschutz-Projekte)

Ökologischer Bundesfreiwilligendienst (Business Development)

Für diese Stelle sind Bewerbungen vorerst ohne Frist möglich.

 

Wir freuen uns auf Ihre Bewerbungen!