Liebe Leserinnen und Leser,

vielleicht haben Sie von der aktuellen Studie in Nature gehört: Corona hinterlässt auch bei den CO₂-Emissionen weltweit Spuren. Weniger Luftverkehr, geschrumpfte Industrieproduktion, geringerer Energieverbrauch. Weltweit haben sich die CO₂-Emissionen im Vergleich zu den ersten sechs Monaten des Jahres 2019 um gut 8 Prozent verringert. Aber, so gut es tut, endlich einmal etwas von sinkenden Emissionen zu lesen, so hilft das doch nur wenig gegen den Klimawandel.

Denn einerseits sind selbst diese Reduktionen nicht ausreichend. So sagt Mojib Latif, atmosfair Schirmherr und Klimaforscher am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel:

„Es könnte sein, dass der weltweite CO₂-Ausstoß 2020 deutlich sinkt. Aber genau das müsste jedes Jahr passieren. 2021 müsste der Ausstoß gegenüber diesem Jahr erneut um acht Prozent sinken, und das immer wieder und wieder. Der Corona-Lockdown zeigt uns, wie groß die Aufgabe eigentlich ist, vor der wir stehen.“

Andererseits erfolgt die CO₂-Minderung nicht durch technologische Innovationen, die wir für die dauerhafte Senkung aber brauchen. Etwa 700 Milliarden EUR fehlen jährlich allein für die globale Energiewende, das sind etwa 5 Prozent des weltweiten GDP. Aber wenn die Weltwirtschaft durch Corona geschwächt ist, werden genau diese Investitionen nicht erfolgen.

Einnahmen für die Nord-Süd Energiewende fehlen, auch bei atmosfair. Die Finanzierungslücke müssen wir alle gemeinsam schließen, weltweit. In den nächsten Wochen werden wir Sie dazu ausführlicher informieren und starten mit Bärbel Höhn im Interview zur Energiewende im globalen Süden. Herzliche Grüße aus Berlin Kreuzberg,

Ihr Dietrich Brockhagen
Geschäftsführer atmosfair

 

p.s. Mehr zur Energiewende Nord-Süd und der Rolle von atmosfair-Projekten finden Sie im Jahresbericht 2019.

 

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atmosfair (Dietrich Brockhagen): Liebe Bärbel, Du hast viel gesehen in Afrika und im globalen Süden. Wie steht es dort um die Energiewende?

Bärbel Höhn: In vielen Ländern insbesondere in Asien sind hunderte von Kohlekraftwerken in der Planung oder im Bau, um den wachsenden Strombedarf zu befriedigen. Weltweit haben fast 1 Mrd. Menschen keinen Zugang zu Strom. 600 Mill. davon leben in Afrika. Das sind 50% der Bevölkerung. 90% davon leben im ländlichen Raum. Dieselgeneratoren und Petroleumlampen beherrschen dort das Bild. Um Hunger und Armut zu überwinden und Perspektiven zu schaffen, brauchen diese Menschen Strom. Man stelle sich mal unser Leben vor ohne Strom. Mit den Nachhaltigkeitszielen hat sich deshalb die Weltgemeinschaft verpflichtet bis zum Jahre 2030 allen Menschen auf der Welt Zugang zu Strom zu verschaffen.

Durch die Energiewende in Deutschland haben wir der Welt ein großes Geschenk gemacht, wir haben die Entwicklungskosten für die Photovoltaik bezahlt. Dadurch sind die Kosten für Photovoltaik extrem gesunken.

Anders als vor 150 Jahren in Deutschland haben wir also eine Alternative, um dieses Ziel zu erreichen. Anstatt große, zentrale Kohlekraftwerke zu bauen und den Strom bis ins letzte Dorf zu führen, ist es klimapolitisch notwendig, aber auch kostengünstiger, kleine, lokale Erneuerbare Energien Stromnetze zu bauen. Aus Sicht der Energiewende ist Afrika also noch eine weiße Landkarte. Wir können deshalb moderne Technologie nutzen. Das können Solare Homesysteme sein, die einzelne Haushalte aus Solarpaneln direkt mit Strom versorgen z.B. für Licht, Handys und Internet, oder lokale Stromnetze für ganze Dörfer, die mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Mit diesem Solarstrom kann die Obst- oder Gemüseernte getrocknet und das Getreide gemahlen werden, es kann geschweißt werden, die Krankenstation bekommt einen Kühlschrank für die Medikamente und die Schule Licht. Spannend ist, dass wir auch unerwartete zusätzliche positive Effekte für Frauen sehen, die von diesen kleinen, lokalen Lösungen besonders profitieren.

Wie steht es mit den Rahmenbedingungen für die Energiewende?

Wir sehen, dass Länder wie Japan, aber auch China zu- hause – um das Pariser Klimaabkommen zu erfüllen – ihren Kohleanteil reduzieren, aber z.B. mit Subventionen oder sehr günstigen Krediten der Export von Kohlekrafttechnologie in Länder des Südens in großem Stil stattfindet. Solche Projekte gehen auch häufig mit Korruption einher und sind deshalb bei dem einen oder anderen Entscheidungsträger beliebt. Ohne Unterstützung, ohne die energiepolitischen Rahmenbedingungen, ohne den politischen Willen der jeweiligen Regierungen haben dezentrale Lösungen deshalb immer noch wenig Chancen. Durch den starken französischen Einfluss setzen z.B. westafrikanische Länder auf zentrale Energiestrukturen. Dagegen läuft es in Ostafrika mit kleinen Solarsystemen besser. Wir suchen nun alle nach neuen Finanzinstrumenten, die lokale Stromnetze und kleine Unternehmer in Afrika fördern. Dabei hat die KfW eine wichtige Aufgabe. Mit ihr suche ich nun nach neuen Finanzinstrumenten, die nicht mehr wenige großen Projekte, sondern viele kleine fördert, z.B. Crowdfunding unterstützen.

Welche Chancen und Potentiale hat die Energiewende Nord-Süd noch? Kann es das Ziel sein, damit auch die Fluchtursachen zu mildern?

Ja, das ist auf jeden Fall ein Ziel. Durch den Strom entstehen neue Einkommensmöglichkeiten und Arbeitsplätze für die Bevölkerung vor Ort: Trocknung, Kühlung, Handwerk, aber auch die Wartung der Anlage. Gerade für die jungen Menschen ist das wichtig – sie erhalten eine neue Perspektive, flüchten seltener vom Land in die großen Städte und von dort aus beispielsweise nach Deutschland. In vielen Ländern Afrikas ist die Hälfte der Bevölkerung jünger als 18 Jahre. Da hilft Ausbildung, insbesondere für Frauen, sowie Jobs und Einkommen durch Erneuerbare Energien.

atmosfair vergibt neben Zuschüssen auch günstige Kredite, zusammen mit anderen Geldgebern. Ist das der richtige Weg?

Ja, das ist sinnvoll. Es sollte nichts nur verschenkt werden, sondern zumindest ein Teil der Investitionen sollte zurückgezahlt werden. Wenn z.B. der teure Dieselgenerator durch Photovoltaik ersetzt wird, rechnet sich die Investition in 2 bis 3 Jahren. Eine Solarlampe erspart Petroleum oder Wachs und mindert die Gefahr von Bränden und Verletzungen. Einige Länder des Südens sind schon gut in diese Richtung vorangekommen. Die dortigen Landesagenturen prüfen die Qualität eines Vorhabens wie z.B. einem kleinen Dorfnetz mit Solarenergie und stellen dann in Mischfonds Zuschüsse und günstige Kredite mit ausreichender Laufzeit zur Verfügung. Dann können in einem Dorf nach und nach die Haushalte an das Inselnetz angeschlossen werden. Aber nicht nur die Rahmenbedingungen für die Finanzierung sind zu beachten. Wichtig ist auch, dass sich Geber nicht als Konkurrenz sehen, sondern zusammenarbeiten und ihre Gelder bündeln.

Für die Klimaziele von Paris brauchen wir die grüne ländliche Elektrifizierung. Hat sich die Hoffnung in das Paris Agreement als Treiber für diese Entwicklung erfüllt?

Es ist noch zu früh, um das zu sagen. Das Mercator Forschungsinstitut aus Berlin hat mit seiner Studie gezeigt, dass wir im Afrika südlich der Sahara mit einem erheblichen Zuwachs an CO₂-Emissionen rechnen müssen, insbesondere durch Bevölkerungswachstum und die steigende Nachfrage nach Strom. Aber wie soll ich einem Regierungschef, der in seinem Land Kohlekraftwerke bauen will, erklären, er sollte das nicht tun, wenn wir in Deutschland noch in diesem Jahr ein neues Kohlekraftwerk ans Netz gebracht haben und seine Bevölkerung einen CO₂ Ausstoß pro Kopf von einer halben Tonne CO₂ hat, wir dagegen von 8 Tonnen pro Kopf.

Die Frage ist: Was will Afrika? Jahre warten, bis überall Kohlekraftwerke stehen? Oder lieber schnell erneuerbare Energien mit ihren gesammelten Vorteilen in die Dörfer bringen? Sehen wir mal von Südafrika und wenigen anderen Ländern ab, haben wir die Chance, in Afrika die Kohle zu überspringen.

Danke für das Interview! Möchtest Du atmosfair noch etwas mit auf den Weg geben?

Außer der Elektrifizierung im ländlichen Raum steht noch das Problem der Entwaldung durch kochen auf dem offenen Feuer. Der Kampf um das Feuerholz wird immer dramatischer. Das ist ein Riesenproblem in vielen afrikanischen Ländern. Deswegen müssen wir vor allem an Lösungen für effizientere und bessere Kochsituationen arbeiten. Deutschland hat hier schon viel getan, aber in einigen Ländern spitzt sich das Problem immer mehr zu.

Irak: atmosfair nimmt Batteriespeicher für Solaranlage im Flüchtlingscamp Mam Rashan in Betrieb

Mam Rahan, Irak, 8. Oktober 2020: atmosfair schließt die von 380 auf 980 kW erweiterte Solaranlage und den auf 660 kWh ausgebauten Batteriespeicher erfolgreich an das lokale Stromnetz an – trotz schwieriger Bedingungen aufgrund der COVID-Krise.

Um 8:03 Uhr am 8. Oktober war es endlich soweit: Unsere Ingenieure nehmen das neue Herzstück des lokalen Stromnetzes, ein vollintegriertes Lithium-Ionen-Batteriesystem, in Betrieb. Das Batteriesystem läuft auf Anhieb ohne Komplikationen und versorgt alle 7.833 Bewohner des Flüchtlingscamps Mam Rashan im Nordirak unterbrechungsfrei mit sauberem Strom.

Das Camp liegt in der autonomen Region Kurdistan, etwa 75 km von der Stadt Mossul entfernt. Vor dem Bau der Solaranlage 2018 versorgte das öffentliche Netz das Camp hauptsächlich nachts mit Strom. Tagsüber waren die Einwohner auf Dieselgeneratoren angewiesen, denn ohne Strom funktionieren weder Kühlschränke noch Ventilatoren. Und dies bei Temperaturen bis zu 48°C, die keine Seltenheit in der Region sind.

Der neue Lithium-Ionen-Akku der Berliner Firma Autarsys (Container vorne im Bild) versorgt nun unterbrechungsfrei die 7.833 Einwohner des Flüchtlingscamps Mam Rashan mit Strom

Um eine Vollversorgung der Bewohner zu erreichen, hat atmosfair die Solaranlage von 380 auf 980 kW erweitert. Der neue Lithium-Ionen-Akku ist notwendig, um das Ungleichgewicht zwischen der Stromproduktion der Solaranlage und dem lokalen Stromverbrauch abzufedern. Ohne den Akku wäre der Betrieb des solaren Inselstromnetzes unmöglich.

Das Land Baden-Württemberg finanzierte über die Stiftung Entwicklungs-Zusammenarbeit Baden-Württemberg (SEZ) zusammen mit atmosfair den Bau der Solaranlage und des Batteriesystems.

Das gesamte System spart nunmehr ca. 1.200 Tonnen CO₂ jährlich ein, die sonst durch die Verbrennung von fossilen Brennstoffen in Dieselgeneratoren entstanden sind.

Die privat betriebenen Dieselgeneratoren konnten einige Familien mit Strom versorgen – aber zu sehr hohen Kosten, sowohl für das Klima als auch für die Nutzer.

Folgeprojekte schon in Planung

Viele weitere lokale und internationale Hilfsorganisationen haben durch die Solaranlage in Mam Rashan das hohe Potential der Nutzung von Solarenergie entdeckt. Die Solaranlage zeigt deutlich, dass der Wechsel zu sauberen Energien in dieser sonnenreichen Region möglich und vielversprechend ist. Konkret sind atmosfair und die SEZ aktuell bereits mit dem Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) in Kontakt: Die UNHCR möchte auf das in Mam Rashan gesammelte Know-How aufbauen und das nahegelegene Flüchtlingscamp in Domiz, in dem über 30.000 Flüchtlinge leben, ebenfalls mit Solarstrom versorgen.

Ein großer Dank geht an unsere Spender, an das Land Baden-Württemberg und die Stiftung Entwicklungs-Zusammenarbeit Baden-Württemberg (SEZ) für ihre finanzielle Unterstützung, an die beteiligten Ingenieure Jörgen Klammer, Erich Bosch und Nawar Aanea sowie an unsere Projektmanagerin Nele Erdmann!

Weitere Informationen finden Sie auf der atmosfair-Webseite.