• Große Mengen an Abfällen aus Land- und Forstwirtschaft im Globalen Süden sind bisher ungenutzt.
• Nutzbar für grünen Strom, Pflanzenkohle als CO₂-Speicher oder für synthetischen Treibstoff für 20% des Weltluftverkehrs.
• Neue Methode mit umfassenden Kriterien zur Umwelt- und Sozialverträglichkeit auf Basis der UN-Nachhaltigkeitsziele.
Reststoffe aus Ackerbau, Holzwirtschaft und Abwasseraufbereitung können als Energie- und Kohlenstoffquelle einen erheblichen Beitrag zum Klimaschutz leisten und gleichzeitig in den Ländern des Globalen Südens zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung beitragen. Damit könnten rund 20 Prozent des Treibstoffbedarfs der globalen Luftfahrt synthetisch aus solchen Restbiomasse gedeckt werden, und das bei höchsten Standards für Umwelt- und Sozialverträglichkeit. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Klimaschutzorganisation atmosfair und des ifeu Instituts für Energie- und Umweltforschung, die heute in Berlin vorgestellt wurde.
„Biomasse für Energie ist oft problematisch: Rodungen, Energiemais, Teller-Tank Konflikt, Verarmung der Böden und Kleinbauern. Wir wollten wissen, wieviel für den Klimaschutz übrigbleibt, wenn wir all dies ausschließen,“ sagt atmosfair-Geschäftsführer und Coautor der Studie Dietrich Brockhagen. „Unsere Studie zeigt, dass es gerade lokal und regional in Entwicklungsländern große Mengen an Restbiomassen gibt, die für Klimaschutz und wirtschaftliche Entwicklung eingesetzt werden können. Investitionen in diesen Bereich sind ein Beitrag zu Technologietransfer und Klimagerechtigkeit.“

Restriktiver Ansatz mit weitreichenden Kriterien
Die Studie errechnet das Potential von Restbiomasse aus Ackerbau, Forstwirtschaft und Abwasseraufbereitung in 111 Ländern des Globalen Südens, die für die Produktion von Strom, CO₂-neutralem Kerosin oder zur dauerhaften CO₂-Speicherung im Boden verfügbar wäre, wenn umfassende Kriterien zur Umwelt- und Sozialverträglichkeit angewendet werden. Diese neu entwickelten Kriterien sind zentraler Bestandteil der Studie und gehen weiter als in bisherigen Studien. Diese basiert auf den UN-Nachhaltigkeitszielen sowie aktuelle Daten zur Agrar- und Holzproduktion sowie Abwasseraufbereitung.
„Die atmosfair Studie setzt äußerst restriktive Kriterien an. Sie ermittelt Potenziale, die verlässlich nachhaltig und schadlos sind. Auf dieser Grundlage können Länder des Globalen Südens selbst Wertschöpfungsketten für einen Weltmarkt aufbauen“, sagt Horst Fehrenbach vom ifeu-Institut, der die Studie wissenschaftlich begleitet hat.
So werden etwa Getreidereste ausgeschlossen, wenn sie als Teil eines Ökosystems eigentlich zurück auf die Felder gehören, um den Kohlenstoffgehalt im Boden zu erhalten. Reste von Energiepflanzen wie Ölpalmen sowie Soja und Mais aus der Futtermittelproduktion sind ungeeignet, genau wie Holzreste aus Plantagenwäldern. Wichtig ist auch die Frage, was sonst mit den Resten geschehen wäre, denn häufig wird die Biomasse schon sinnvoll für Textilien oder Tierhaltung eingesetzt. Zudem muss die Produktion eine Reihe von Sozialstandards (Menschenrechte, Arbeitsschutz, Schutz von Kleinbauern) erfüllen.
„Restbiomasse im globalen Süden hat großes Potential, selbst wenn man, wie es die atmosfair-Studie macht, besonders strenge Kriterien an Nachhaltigkeit anlegt. Dieses Potenzial ist ausreichend und hervorragend geeignet als Brückenlösung hin zu strombasierten Kraft- und Grundstoffen. Die Studie ist ein wichtiger Beitrag, sie validiert und bereichert unsere Ansätze zur Defossilisierung der Wirtschaft “, sagt Torsten Schwab, Direktor Technology am International Power-to-X Hub der GIZ.

Basis für CO₂-neutrale Strom- und Kerosinproduktion
Der Studie zufolge lassen sich von den rund 3,4 Mrd. Tonnen Restbiomasse, die in den Ländern des globalen Südens jährlich anfallen, rund 400 Mio. Tonnen sozial- und umweltverträglich nutzen. Mit dieser Menge ließen sich immer noch zum Beispiel 40 Mio. Tonnen Kerosin per Gasifizierung herstellen, was rund 20 Prozent des Bedarfs der globalen Luftfahrt von 2022 entspricht. Dies ist ein anderer Ansatz als Bio-Kerosin, für das überwiegend ölhaltige Pflanzen extra angebaut werden.
Aber auch die lokale Stromproduktion oder die Nutzung als wertvolle Pflanzenkohle, die Böden verbessert und CO₂ speichert, sind gute Klimaschutzanwendungen. Aus den Biomasseresten ließen sich in Biomassekraftwerken 645 Terawattstunden Strom beziehungsweise 125 Millionen Tonnen Pflanzenkohle erzeugen, die 350 Millionen Tonnen CO₂ dauerhaft im Boden binden. Das entspricht knapp einem Prozent der weltweiten CO₂-Emisisonen. Alle drei Fälle würden durch neue Arbeitsplätze und Zugang zu sauberer Energie die wirtschaftliche und soziale Entwicklung fördern.
Großes Potenzial für Klimaschutzprojekte
„Viele Ernte- und Holzreste im Globalen Süden verrotten einfach oder werden sogar verbrannt, was die Luft belastet. Diese stehen im Zentrum unserer Studie, die zeigt, wie wir damit klimafreundlich Energie erzeugen oder Kohlenstoff dauerhaft und mit Gewinn für die Ernte im Boden speichern können“, so Wolfdietrich Peiker von atmosfair und ebenfalls Mitautor der Studie.
Da die Pflanzen in der Wachstumsphase der Atmosphäre CO₂ entzogen haben bzw. der Kohlenstoff in Klärschlamm letztlich aus der Pflanzenproduktion stammt, ist die Nutzung von Restbiomasse CO₂-neutral oder kann der Atmosphäre sogar CO₂ entziehen.
Bereits heute setzt atmosfair Restbiomassen aktiv für das Klima ein. In Ghana stellt die Klimaschutzorganisation Pyrolyseanlagen bereit, mit denen Bäuerinnen aus ihren Ernteresten Pflanzenkohle herstellen. Diese Kohle verbessert Böden und bindet CO₂ dauerhaft im Boden. Im indischen Tonk wird Senfstroh zur Stromproduktion genutzt und in Malawi nutzt atmosfair Abfälle aus der Reis- und Teeproduktion für klimaverträgliche Produktion von Ziegelsteinen.

Methodik: Schrittweise Reduktion ungeeigneter Restbiomassen
Die Studie kombiniert einen Top-Down- mit einem Bottom-Up-Ansatz. Im Top-Down-Ansatz leitet sie 11 Kriterien aus den Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen ab, die unter anderem Ausschluss von Energiepflanzen, umweltverträgliche Landwirtschaft und den Schutz kleinbäuerlicher Strukturen umfassen. Im anschließenden Bottom-Up-Ansatz wendet die Studie diese Kriterien auf die unterschiedlichen Restbiomassen in Ländern des Globalen Südens an. Dabei werden sowohl die Mengen ausgeschlossen, die nicht umwelt- undsozialverträglich sind als auch Reste, die bereits als Tierfutter, Bodenverbesserer oder von der kleinbäuerlichen Bevölkerung als Energiequelle genutzt werden. Als Grundlage nutzt die Studie Daten der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), selbst durchgeführter Experteninterviews sowie externer Studien.
Die komplette Studie finden Sie hier.



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